Die ewige Krux mit der Selbstliebe

Eine Redensart besagt, dass Selbstliebe die unverzichtbare Grundlage dafür sei, andere lieben zu können. Ich weiss nicht, ob ich daran glauben soll. Ich bin mir sicher, in meinem bisherigen Leben geliebt zu haben – so richtig. Mit der Liebe zu mir hingegen tue ich mich seit jeher schwer, drohe ich meinem Selbst vielmehr alle paar Wochen auf’s Neue mit dem Scheidungsanwalt.

Woran erkennen wir sie eigentlich, die Liebe zu uns selbst? Wir sind uns vermutlich einig, dass sie sich nicht darin äussert, dass man stundenlang verzückt vor dem Spiegel steht und sich selbst anhimmelt. Bedeutet mich selber zu lieben, dass ich alles gut finde, was ich tue und lasse? Bedeutet es, dass mein eigenes Wohl für mich an allererster Stelle steht? Oder ist sie nicht viel eher mit der tiefen inneren Überzeugung gleichzusetzen, dass ich gut bin, wie ich bin – völlig egal, wie ich denn nun bin?

Bis heute ist es mir nicht gelungen, obige Überzeugung zu verinnerlichen. Wäre ich nicht viel besser, interessanter, liebenswürdiger, wenn ich dies und das auch noch könnte, mir jenes nicht so verdammt schwer fallen würde und ich überhaupt mehr wäre wie all diejenigen, die ich bewundere bis gar beneide? Mit solchen Überlegungen kasteie ich mich jeweils meilenweit weg von jeglicher Form der Selbstakzeptanz, in düstere Gedankengegenden, wo ich das Wort »Liebe« nicht mal mehr zu buchstabieren weiss.

Ich bin mir bewusst, auf welch verlorenem Posten ich mit solcherlei Einstellungen kämpfe. Ich kann mich noch so sträuben – ich werde immer ich sein, egal was ich tue und egal was kommt. Wäre da bloss nicht der ewige Zweifel, gut genug zu sein – interessant genug, fähig genug, intelligent genug, ehrgeizig genug, hübsch genug, kreativ genug, sympathisch genug, integer genug, liebenswert genug… Und das Ganze wofür? Der eine mag mich, die andere nicht – das kann ich nicht ändern und werde es niemals können.

Wir vergeuden so viel Energie damit, Schutzwälle und meterhohe Mauern um unsere Herzen herum zu errichten – um uns möglichst unverletzlich zu machen. Sind wir uns bewusst, dass wir uns so weniger dem Schmerz, als vielmehr all dem Wertvollen versagen, was das Leben für uns bereit hält? Vielleicht liegt des Rätsels Lösung ja eben da, im Zulassen. Einschüchtern kann mich doch im Grunde nur das, dem ich mich nicht offen stelle. Und mit Freude oder gar Glück erfüllen kann mich ebenfalls nur jenes, dem ich mich nicht von Vornherein verschliesse.

Womöglich setzt genau hier denn auch besagte Liebe zum eigenen Ich an – indem ich es mir selbst gestatte, mit offenem statt mit von innen verriegeltem Herzen durchs Leben zu gehen. Weil irgendwo tief in mir eben doch die Überzeugung schlummert, dass auch meines es wert ist, offen vor mir hergetragen zu werden, ebenso wie jedes andere auch. Denn sie sind ansteckend, die offenen Herzen. Und ich meine – was für ein Glück!

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