Wohin geht der Lärm, sobald Stille einkehrt?

Wohin geht der Lärm, sobald Stille einkehrt?
Wohin mäandert Liebe, während Gefühle versiegen?
Wohin verklingt gemeinsames Lachen, wenn da nichts mehr ist, was auch nur ein kleines bisschen witzig ist?

Ich stehe im Türrahmen und sehe dir beim Packen zu. Darüber, dass du mir dabei den Rücken zugekehrt hast, bin ich froh, denn würde ich dein Gesicht sehen, würde ich sofort wieder anfangen zu weinen. Oder dich anschreien. Oder darum flehen, dass du bei mir bleibst.

Ich tue nichts von alledem, da ich nur deinen Rücken sehe, wie er sich energisch auf und ab und hin und her bewegt, in jenem hässlichen senfgelben Hemd, das ich noch nie mochte und das dir eine Spur zu klein geworden ist. Ich überlege, was ich tun soll, sobald du dich umdrehst, denn umdrehen wirst du dich irgendwann. Um mit deinem gepackten Rucksack an mir vorbei durch den Türrahmen und aus meinem Leben zu gehen. Einfach so.

Ich stelle mir vor, wie ich zu dir hinübergehe und dir sanft eine Hand auf die Schulter unter dem senfgelben Hemd lege. Ich stelle mir vor, wie du dich umdrehst, mich wütend anfunkelst, die Wut in deinem Blick mit jeder Sekunde müder und schwächer wird, bis da irgendwann nur noch Bedauern ist – Bedauern und tiefe Zuneigung. Ich stelle mir vor, wie du deine Hand an mein Gesicht hebst und mir sagst, dass du nicht gehen willst, dass du nichts weniger möchtest, als ohne mich zu sein. Ich stelle mir vor, wie mir Tränen die Wangen hinabfliessen, ich mein Gesicht an deine Schulter schmiege und flüstere, dass ich dich liebe.

Ich spüre den Luftzug, mit dem du an mir vorbei durch die Türe gehst. Meine Hände sind zu Fäusten geballt. Ich drehe mich nicht um. Ich höre dich eine Kommode im Wohnzimmer öffnen und wieder schliessen, höre dich im Badezimmer geräuschvoll Dinge zusammenpacken. Ich höre dich im Korridor Jacken von Kleiderbügeln streifen, sehe dich in Gedanken deine Schuhe zubinden.

Vielleicht bleibst du kurz stehen und blickst zu mir rüber, während ich noch immer im Türrahmen zum Schlafzimmer stehe, nun meinerseits mit dem Rücken zu dir. Mit zu Fäusten geballten Händen, runtergeschluckten Tränen, die du nicht siehst und einer Enge in der Kehle, die mich weder schreien noch schluchzen noch flehen lässt. Vielleicht öffnest du den Mund, um etwas zu sagen, vielleicht auch nicht, ich werde es nie wissen. Vielleicht hältst du nicht inne, drehst dich nicht um. Vielleicht hast du mich vergessen, noch ehe ich deine Schritte ein letztes Mal höre, gefolgt von der Wohnungstüre, die herzstillstandgleich ins Schloss fällt.

Wohin geht der Lärm, sobald Stille einkehrt?

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