»Hello again«

1

Es kommt der Tag, da wacht man morgens auf und merkt, dass es gar nicht viel braucht zum Glücklichsein. Und dass man dennoch – vielleicht für immer – zweimal fast Nichts plus ein klein wenig zu wenig haben wird auf dem Weg dorthin. Man denkt, »mir doch egal«, schürzt trotzig die Lippen und sinkt zurück in Kissen, die von schlaflosen Nächten erzählen und trübsinnigen Tagen. Viel zu lange schon hat kein anderer Kopf als der eigene mehr auf ihnen gelegen. Viel zu lange schon sickert Nacht für Nacht nichts weiter als Traurigkeit in sie.

2

Hin und wieder frage ich mich, was Aufwachen eigentlich heisst und ob es vielleicht sein kann, dass ich gar nicht weiss, wie das geht. Ob es sein kann, dass ich mir bloss einbilde, zu erwachen, wenn ich morgens die Augen öffne und sie am liebsten gleich wieder schliessen würde. Ob überhaupt alles viel mehr Einbildung ist als irgendwas anderes, als irgendetwas mit Kontur und Bestand. Und wieso es mich so traurig macht, über all das nachzudenken, ohne dass jene Traurigkeit je ihren Weg an die Oberfläche findet.

Das ist mitunter das Schlimmste. Traurigkeit, die so tief reicht, dass ich mich frage, wie lange es wohl dauert, bis sie auf der anderen Seite wieder aus der Erde spriesst. Und die sich dennoch anfühlt, wie Eingebranntes in einer Pfanne, die man seither nie wieder benutzt hat. Alt, ranzig und für immer.

3

Es gab Zeiten, da war ich mir ziemlich sicher, jeder Mensch besitzt ein bestimmtes Kontingent an Traurigkeit. Ich selbst haue meines einfach aufs Mal und in vollen Zügen raus. Wie jemand, der alle Gummibärchen auf einmal isst, weil ihm die Impulskontrolle fehlt. »Impulskontrolle«, was für ein Wort. Irgendetwas in mir lacht bitter auf – oder war es spöttisch? – ein jedes Mal, da ich es laut ausspreche und ohne zu wollen, im Abgang mitdenke, was es tatsächlich meint. Ich notiere auf ein Post-It: »Impulskontrolle kaufen, Fachmarkt«.

4

Ganz oft kann ich mich nicht entscheiden, worauf ich eigentlich warte. Auf bessere Zeiten? Vermutlich würde es reichen, wenn irgendwann irgendjemand vorbeikäme und mir sagen würde, dass schon alles wieder gut wird. Irgendwie. Jemand, der es wirklich so meint. Glaubst du, dass es Menschen gibt, die nicht glücklich sind, weil sie es schlicht nicht sein wollen und sich unbewusst dagegen sperren, ohne davon zu wissen? Oder glaubst du, dass alles viel komplizierter ist?

Manchmal glaube ich, ich habe irgendwann einfach aufgehört zu glauben. So wie man aufhört zu rauchen, oder sich mit diesem einen langweiligen Typen zu treffen, den man eh nicht liebt. Aufgehört an irgendetwas zu glauben. Und zwar schon viel länger, als ich irgendwen glauben lassen will.

5

Früher glaubte ich ganz von alleine, dass irgendwann alles besser wird. Heute mache ich einfach weiter mit dem, was ich gestern tat und verfluche im Geiste sämtliche Floskeln von »wird schon« bis »Kopf hoch«, die sich mir dabei in den Weg stellen. Glaubst du, darüber spricht man gern?

Ich kann dich noch immer hören, wie du stirnrunzelnd dasitzt und mir vorhältst, ich wolle doch nichts weiter als unglücklich sein und meine, alle Traurigkeit der Welt für mich gepachtet zu haben. Wer liegt falscher, du oder ich? Und glaubst du tatsächlich, man sucht es sich aus?

6

»Gehört das hierher oder kann das weg?« – eine Frage, die mich bei Weitem zu oft von der immerfalschen Seite her streift. Im offenen Feld der Rührseligkeiten, das für gewöhnlich zu später Stunde erst samtweich dunkelbunt erblüht.

Früher hätte ich über derartiges schallend gelacht. Vielleicht nicht unbedingt mit Freude in der Kehle, aber dafür mit der Gewissheit, dass schon alles irgendwie seinen Lauf nehmen wird, in welche Richtung auch immer. Heute ist alles, was mir dazu noch über die Lippen zu kommen pflegt, ein schnöde dahergeblafftes »Hello again« und das bittere Gefühl ganz hinten auf der Zunge, das entsteht, während man Dinge sagt, die man so nicht meint.

7

»Hello again«. Bloss wofür und wozu? Hin und wieder frage ich mich dann nämlich doch auf ein Neues und diesmal sogar ganz im Ernst, was Aufwachen eigentlich genau heisst und ob es sein kann, dass ich gar nicht weiss, wie das geht. Ob es Kurse gibt, in denen man sowas lernen kann, im All-Inclusive-Package zusammen mit Glücklichsein oder einfach Leben? Sieben Lektionen à je 50 Minuten für 475.- CHF (inklusive Kursmaterial) und voilà, so wird es gemacht, so geht man es an.

8

Gesetzt dem Fall, es gäbe ihn, würdest du einen solchen Kurs besuchen? Mit dem Ziel, danach ein hübsch gerahmtes Diplom an deine Wohnzimmerwand zu hängen, das dich daran erinnert, dass du es meistern kannst, dein Leben? Würde ich es tun? Oder ist, entgegen meiner eigenen Überzeugung, tatsächlich was dran an deiner Behauptung, dass ich es im Grunde gar nicht wirklich haben, da nicht an mich heranlassen will oder kann, das liebe Glück?

»Wir bleiben noch ein bisschen, du auch?«, fragen die anderen im Taumel der sich behäbig dahinwälzenden Nacht. »Nein, ich geh dann mal«, entgegne ich und lasse den Vorhang fallen, so wie er ist. So wie er hier und jetzt nun einmal gerade ist.

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