Ich weiss vieles

Ich sitze auf einer Bank im Stadtpark,
mein Blick verliert sich im unsteten Kräuseln
der Wasseroberfläche des Ententeichs vor mir.
Es ist ein ungewohnt warmer Abend im April.

Gedankenverloren schlüpfe ich aus meinen
Sandalen und stelle meine Füsse dicht an dicht
auf den mit Kies gepflasterten Boden.
Ich richte sie exakt parallel zueinander aus –
zumindest soweit, wie dies mit zwei nun mal
nicht identischen Füssen möglich ist –
und konzentriere mich auf das entstandene Bild.

Mein Blinzeln markiert den Auslöser jener
imaginären Fotokamera, als die ich mir
meinen Kopf seit jeher gerne vorstelle.
Bruchteile von Sekunden später ertönt in
meinen Gedanken das dazugehörige Klicken.

Die vielkantigen Steinchen unter meinen Füssen
fühlen sich angenehm warm an.
Sobald ich die Sohlen fester aufsetze,
spüre ich einen leichten Schmerz.
Er jagt mir einen Schauer über den Rücken
und bis hinunter in die Kniekehlen.

Ein bisschen Schmerz gegen die Angst.
Dass sie schnell verebbt, jene therapeutische
Dosis Schmerz und die Angst über einen
weit längeren Atem verfügt, weiss ich.

Ich weiss vieles, mit dem ich im Grunde
nicht viel anfangen kann, denn Wissen ist nicht
automatisch Verstehen und selbst Verstehen
reicht manchmal nicht aus.

8 Kommentare
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Kommentare

  • Stefan Geiger

    Dezember 30, 2020 at 18:24
    Reply

    Ach, Michele, Du berührst mich ein ums andre Mal mit Deinen so sanften, phantasievollen Wortgebilden! Es tut gut, so jemanden "an der Seite" zu wissen auf Instagram und hier!!! Danke und alles Gute für ' 21 ! Lieben Gruß von […] WeiterlesenAch, Michele, Du berührst mich ein ums andre Mal mit Deinen so sanften, phantasievollen Wortgebilden! Es tut gut, so jemanden "an der Seite" zu wissen auf Instagram und hier!!! Danke und alles Gute für ' 21 ! Lieben Gruß von Stef aus Berlin 👍🙏😘❤ Read Less

  • Sylke

    Dezember 30, 2020 at 9:07
    Reply

    Ich hab am Ende bemerkt, dass ich den Atem angehalten habe, beim Lesen. Fasziniert & überwältigt von deiner Fähigkeit, mich durch deine Worte abtauchen zu lassen. Danke!

  • Dani

    Dezember 29, 2020 at 21:29
    Reply

    Ich wünschte, du hättest das Klicken meiner imaginären Kamera hören können, als ich vorhin deinen Text das erste Mal las. Ich musste mehrmals auslösen, um erfassen zu können. Ich habe nun eine echte Notiz mehr in meinem Smartphone abgespeichert, bin […] WeiterlesenIch wünschte, du hättest das Klicken meiner imaginären Kamera hören können, als ich vorhin deinen Text das erste Mal las. Ich musste mehrmals auslösen, um erfassen zu können. Ich habe nun eine echte Notiz mehr in meinem Smartphone abgespeichert, bin um ein inneres Foto reicher und in meiner Überzeugung wiedermal bestätigt worden, dass du eine für mich unglaublich beeindruckende Ausdrucksfähigkeit besitzt. Chapeau! Read Less

  • Michael

    Dezember 29, 2020 at 21:06
    Reply

    Über das Wissen und Verstehen hinaus führt die Einsicht, bis hin zu den Dingen, über die zu schweigen Fülle offenbart. Die Blüten Deiner Texte entfalten sich jenseits der Worte.

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