Irgendetwas ist immer

Einst dachte ich, Menschen, die man liebt, seien immer schön – eben weil man sie liebt. Sind sie nicht.

Manchmal schaue ich dich an und erkenne dich kaum wieder. Das sind für gewöhnlich jene Tage, an denen auch ich selbst den Blick in den Spiegel tunlichst vermeide. Ja, wir sehen beide anders aus an solchen Tagen, alles andere als schön. Irgendwie »falsch« oder zumindest nicht so, wie ich uns kenne.

Ich schelte mich im Geheimen oft selbst dafür, all den kleinen Details und leisen Nuancen, über die andere grosszügig hinwegsehen und selbstsicher hinweggehen, jederzeit und überall so viel Aufmerksamkeit zu schenken. Ich kann nicht anders. Sie lassen mich hinsehen (kleinlich) und allzu oft sogar stillstehen (zweifelnd). Sie bringen mich aus dem bereits zuvor gefährlich schwankenden Konzept und klopfen leise aber bestimmt an die Rückwand meines Magens. Solange, bis er sich wehrt. All die kaum wahrnehmbaren Schattierungen, die sich zwischen die Zeilen schmiegen, all die leise flüsternden Töne, die ganz knapp nur neben der Spur liegen. Für mich sind sie oft grell und laut. Sie machen mir Angst.

Gelingt es nämlich nicht, hin und wieder auch mal kurz die Augen zu schliessen vor all den Schatten oder aber sich die Ohren zuzuhalten, um für einmal nichts anderes als das eigene Herz schlagen zu hören, ist man zu jeder Zeit konstant abgelenkt und darüber hinaus auch noch ziemlich beunruhigt. Irgendwas schwebt immer irgendwo irgendwie mit, das einen irritiert, aufschreckt oder besorgt.

Irgendetwas. ist. immer.

So kommt es womöglich auch, dass wir mit einem Mal nicht mehr aussehen wie wir. Zumindest nicht für mich. Dass sich an manchen Tagen all die winzigen Misstöne und Schattenwürfe zusammentun und ballen. Zu einem hässlichen Klumpen aus Irritation und Furcht. Ich kann ihn fühlen, wie er behäbig und schwer in meinem Magen sitzt und knurrt. Wenn ich dann mit großen, hilfesuchenden Augen deinen vertrauten Blick suche, dich ganz genau anschauen will, um mich im Zuge des Erkennens von dem nagenden Unwohlsein zu befreien, bist du nicht mehr du. Bist du nicht mehr schön. Ist irgendwie gar nichts mehr schön, du nicht, ich nicht, wir nicht. Und das eben noch so vollmundig angeklungene Leben schrumpft zusammen auf ein trauriges Häufchen aus Zweifeln und schier unerträglicher Einsamkeit.

Einst dachte ich, Menschen, die man liebt, seien immer schön – eben weil man sie liebt. Vermutlich sind sie das tatsächlich, bloss kann man es selbst nicht immer sehen. Immer dann mitunter nicht, wenn der eigene Blick sich unversehens trübt und in zweifelnder (Ehr-)Furcht vor dem Leben verliert.

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