Dämme bauen

Die Wochen, Monate und Jahre ziehen sich durch mich hindurch wie Flussläufe, die ihren Weg von vornherein kennen. Sie zweifeln nicht an ihrem Plan, sie hadern nicht, sobald sie auf erste Hindernisse stossen. Ich bin eine Landkarte, auf der jeder Ort seinen Platz hat und jede Distanz selbstverständlich Raum einnimmt.

Während ich in Gedanken jene Wege nachfahre, die am deutlichsten in mich geschrieben wurden, summieren sich kleinere Rinnsale zu Bächen. Alles fliesst und plätschert, nichts bleibt mehr als ein, zwei Wimpernschläge lang bestehen.

Von Zeit zu Zeit präsentieren mir meine Gedanken ein von Angst und absoluter Unruhe erfülltes bewegtes Bild davon, wie ich eines Nachts im Schlaf von den Wassermassen weggespült werde. Wie lockeres Sedimentgestein.

In jenen Momenten schliesse ich die Augen und baue so entschlossen Dämme in mir, dass sich all das Wasser an einer einzigen Stelle zu sammeln beginnt. Mit jedem weiteren Atemzug sehe ich den Spiegel steigen. Ich nehme wahr, wie sich das Strudeln nach und nach verlangsamt, das innere Plätschern leiser wird und schliesslich ganz verstummt, der Grund unter mir immer undeutlicher wird.

Da ist – für den Augenblick – kein Reissen mehr. Ich werde zu einem stillen, tiefen, dunklen See.

10 Kommentare
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Kommentare

  • Vera

    April 9, 2021 at 9:41
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    Panta Rhei - alles fließt. Ich fand es immer beruhigend, all das Plätschern, Fließen, Bewegen. Immer was neues, immer neue Gesichter, Gedanken. Stillstand hatte immer auch etwas mit stehenbleiben, zurückbleiben, zurück gelassen werden zu tun. Leben ändert sich. Ohne Bewegung, […] WeiterlesenPanta Rhei - alles fließt. Ich fand es immer beruhigend, all das Plätschern, Fließen, Bewegen. Immer was neues, immer neue Gesichter, Gedanken. Stillstand hatte immer auch etwas mit stehenbleiben, zurückbleiben, zurück gelassen werden zu tun. Leben ändert sich. Ohne Bewegung, ständige Wechsel, neue Impulse doch keine Entwicklung, kein Vorankommen, kein Weitergehen, keine Entdeckungen, keine Herausforderung über sich selbst hinaus zu wachsen. Neue Wege suchen, Dinge ausprobieren, neue Freunde finden. Ich stand auch schon voller Angst und Zweifel vor vielen Türen, doch ging ich wieder hin. Und irgendwann kam einer, und machte die Tür und die Fenster und das Herz auf, für mich. Man muss es nur weiter versuchen und das Neue und Bewegende und Fließende akzeptieren und selbst anerkennen und annehmen. Ich wünsche Dir, dass Du Schönes in den Bächen, dem Leben, dem Bewegten findest! Read Less

    • Emma denkt.
      to Vera

      April 9, 2021 at 17:37
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      Herzlichen Dank für deine Worte und Gedanken zum Text, liebe Vera. Bewegung und Fliessen ist Leben. Nichts bleibt wie es ist und das ist gut so. Ich mag und schätze sie gleichwohl, jene Augenblicke, da ich im Hier und Jetzt […] WeiterlesenHerzlichen Dank für deine Worte und Gedanken zum Text, liebe Vera. Bewegung und Fliessen ist Leben. Nichts bleibt wie es ist und das ist gut so. Ich mag und schätze sie gleichwohl, jene Augenblicke, da ich im Hier und Jetzt an- und in mir selbst zur Ruhe komme. Read Less

  • Antje Wicht

    April 8, 2021 at 15:47
    Reply

    Was für eine bildliche Sprache. So wunderschön.

  • Kati

    April 8, 2021 at 13:48
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    Wunderschön 😍

  • Stefan Geiger

    April 8, 2021 at 6:59
    Reply

    Oh, welch herrliche Umschreibung dieser Deiner Gefühle im Frühling, liebe Michėle! Ich hoffe, die Kräfte steigen mit jedem Sonnenstrahl, um Dämme zu bauen, gleich Bibern, die ja bekannterweise klein, wie sie erscheinen, ganze Bäume fällen, um die Äste zum Dammbau […] WeiterlesenOh, welch herrliche Umschreibung dieser Deiner Gefühle im Frühling, liebe Michėle! Ich hoffe, die Kräfte steigen mit jedem Sonnenstrahl, um Dämme zu bauen, gleich Bibern, die ja bekannterweise klein, wie sie erscheinen, ganze Bäume fällen, um die Äste zum Dammbau zu nutzen... Hofentlich kommt der Frühling auch bald zu Dir, hier beginnt er jetzt langsam! Lieben Gruß in die Schweiz xxx Stefan Read Less

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